Zukunft Versorgung: Patientenbeteiligung statt Planwirtschaft

Arzttermin

Ein Statement von Dr. med. Arnd Grosch

Inhaltsverzeichnis

  1. Patientenversorgung – ein Blick in die Zukunft
  2. Wie funktioniert das Gesundheitswesen heute?
  3. Interessen der Leistungserbringer
  4. Der Patient tappt im Dunkeln
  5. Wege zu mehr Patientenbeteiligung
  6. Editorielle Hinweise

Patientenversorgung – ein Blick in die Zukunft

Die Gesundheitsausgaben steigen weltweit. Die Haupttreiber sind wissenschaftlicher Fortschritt und demographischer Wandel. Eine stetig wachsende Vielfalt an diagnostischen und therapeutischen Methoden trifft auf eine Population, die altersbedingt höhere Morbiditätsraten aufweist.

Alle Versuche, die Kostenflut in Deutschland zu bändigen, setzen auf bürokratische Steuerungsprinzipien. Von Regelleistungsvolumen über DRG bis hin zur Krankenhausbedarfsplanung reicht das planwirtschaftliche Instrumentarium. Das ist der Boden, auf dem Expertentum und Bürokratien gedeihen. Die kostensteuernden Eingriffe führen aber nur in Ausnahmefällen zu einer nachhaltigen Verbesserung der Patientenversorgung. Als anhaltend ineffizient zeichnen sich die Sektorübergänge innerhalb des Gesundheitssystems aus.

Die Steuerung der Leistungen findet regelhaft unter Aussparung des Patienten statt. Dabei nimmt das allgemeine Wissen vieler Patienten über Ursachen, Diagnostik und Therapie kontinuierlich zu. Eine Spitzenstellung nehmen hier die Patientenorganisationen für schwere oder seltene Erkrankungen ein. Deren Wissen übersteigt nicht selten das der Therapeuten. Wo bleibt der„Patient auf Augenhöhe“? Patientenbeteiligung statt Planwirtschaft ist ein Lösungsweg.

 

Wie funktioniert das Gesundheitswesen heute?

Verhältnis von Arzt zu Patient

Prinzipiell erfolgt die Versorgung nach dem Zufallsprinzip: Wer Glück hat, gerät an einen guten Arzt. Die Bertelsmann-Stiftung hat exemplarisch die Versorgungsunterschiede im „Faktencheck Gesundheit“ untersucht. Am Beispiel Depressionen oder Kaiserschnitt zeigen sich nicht erklärbare regionale Unterschiede in der Versorgung. Leitlinienkonforme Behandlung ist die Ausnahme. Die Arzt-Patienten-Beziehung ist nach wie vor hierarchisch. Hier der übermächtige Arzt, dort der Patient, über den geurteilt und bestimmt wird. Teilweise mehrmonatige Wartezeiten, v.a. im Facharztbereich, verstärken diese Polarität. Terminvergabestellen als Antwort der Bürokratie greifen nicht wirklich.

Diagnose- und Behandlungspläne, die eindeutig und interdisziplinär das medizinische Vorgehen beschreiben, sind Mangelware. Als Beispiel sei die Differentialdiagnose des Rückenschmerzes genannt. Viele Patienten durchlaufen eine fremdbestimmte Odyssee durch die fachärztliche Welt. Bis z.B. eine Endometriose als Ursache gefunden wird, vergehen meist Jahre. Das Expertentum verhindert Patientenzentrierung.

 

Interessen der Leistungserbringer

Gleiches gilt für die kommerziellen Interessen der Leistungserbringer. In der Pharma- und Medizintechnikwelt liegen diese offen auf dem Tisch und werden durch Zulassung und Gemeinsamen Bundesausschuss gesteuert. Aber auch im G-BA haben die Patientenvertreter zwar Mitberatungs- und Antragsrecht, aber kein Stimmrecht. Für niedergelassene Ärzte und Kliniken gibt es eine Unmenge von bürokratischen Vorgaben, verordnet und durchgeführt wird dennoch vornehmlich das, was erstattet wird. Das Spektrum der Auswüchse reicht von Überversorgung (v.a. bei Privatpatienten) bis hin zu „blutigen Entlassungen“ in der Gynäkologie.

In der Medizin herrscht eine desolate Fehlerkultur. Gerd Gigerenzer bringt in seinem Buch „Risiko“ den Vergleich mit der Luftfahrt. Nach einem Flugzeugunglück wird alles getan, um die Ursache herauszufinden und den Fehler in Zukunft zu vermeiden. In der Medizin ist es genau umgekehrt: Hier wird alles getan, um einen Fehler unter den Teppich zu kehren. Das beginnt bei der fehlenden übergreifenden Überwachung von verordneter und Selbstmedikation. Und endet bei der Entwicklung der MRSA-Infektionen im stationären Bereich. Erst nachdem in Bremen Frühgeborene sterben mussten, kam dieses Thema an die Öffentlichkeit. Als Folge der mangelnden Fehlerkultur sterben jährlich Zehntausende an vermeidbaren Krankheiten bzw. Therapien. Hier ist eine klare Offenlegung von medizinischen Fehlern gegenüber dem Patienten gefordert.

 

Der Patient tappt im Dunkeln

Der Patient erfährt nur in Ausnahmefällen seine wirkliche Diagnose. Die ICD-Codierung bleibt im ambulanten wie auch im stationären Bereich verborgen. Dabei ist fehlerhafte Codierung eher die Regel als die Ausnahme. Privatpatienten erhalten ihre Rechnungen und wundern sich nicht selten, was da alles mit welchem Faktor abgerechnet wird. GKV-Patienten bleibt dieser Einblick regelhaft verwehrt. Die AOK bemängelt, dass 50% der geprüften Krankenhausabrechnungen fehlerhaft sind! Ebenso unklar sind die bei den gesetzlichen Krankenkassen geführten Diagnosen. Dank des Morbi-RSA verdienen diese aber mit dem Upcoding von Erkrankungen gutes Geld. Allein die verbindliche und sofortige schriftliche Übermittlung der Diagnosen und Rechnungen schafft auf Dauer eine förderliche Transparenz.

Auch seitens der Politik werden Patienten für dumm verkauft. Wer es nicht glaubt, lese bitte Auszüge aus den Sozialgesetzbüchern. Bürokratendeutsch und Querverweise verhindern ein sinnentnehmendes Lesen. Außerdem gibt es immer wieder Scheingesetze, die sich gut anhören, aber in der Praxis kaum umgesetzt werden. Als Beispiel sei das „Persönliche Budget“ genannt. Wer hier jemals an einer Fallkonferenz mit verschiedenen Kostenträgern teilgenommen hat, wundert sich nicht mehr, dass dieses Gesetz, welches die Patientenselbstveranwortung stärken sollte, nur rudimentär zum Einsatz kommt.

Nicht alle Patienten sind Engel. Der Ruf nach dem gelben Schein, Rentenbegehren, die Unfähigkeit, den krankmachenden Lebensstil zu ändern, die Weigerung, Medikamente entsprechend einzunehmen, das ungeheure Anspruchsdenken, gelegentliche Besserwisserei und das geschickte Ausspielen der Hierarchiekarte innerhalb der Arzt-Patienten-Beziehung fördern nicht das Bild des „Patienten auf Augenhöhe“.

 

Wege zu mehr Patientenbeteiligung

Der Wandel findet im Kopfe statt. Menschsein bedeutet Individualität. Vorurteile helfen da wenig weiter. Weder auf Seiten der therapeutisch Tätigen, noch seitens der Patienten.

Der ideale Patient übernimmt persönliche Verantwortung für seine Gesundheit. Das bedeutet Abschied nehmen von der Bevormundung durch Leistungserbringer und Leistungsfinanzierer.

Leistungserbringer und –finanzierer schaffen mit absoluter Transparenz über Diagnosen und Rechnungen eine Grundlage für ein neues Vertrauen.

Nachhaltiges Case Management über den Horizont eines Geschäftsjahres hinaus unterstützt Patienten und Therapeuten dabei, Orientierung in den komplexen Diagnose- und Behandlungsplänen zu erlangen.

  • Der Gesetzgeber ist aufgerufen, verständliche und einklagbare gesetzliche Rahmenbedingungen zu schaffen.
  • Gesundheitserziehung gehört in jeden Lehrplan ab der Grundschule.
  • Freiwillige Direkterhebung von echten Versorgungsdaten durch Patienten schafft wirkliche Versorgungsforschung ohne kommerzielle Motivation und steigert die Fehlerkultur.

Und zu guter Letzt: Coaching von Patienten mit speziellen oder chronischen Krankheitsbildern wie z.B. psychiatrische, neurologische und Tumorerkrankungen. Das Patientencoaching umfasst auch die Angehörigen im täglichen Umfeld. Es fördert die Entwicklung des Patienten zum Fachmann seiner Erkrankung und einem „Patienten auf Augenhöhe“.

 

Editorielle Hinweise

Dieses Statement von Dr. med. Arnd Grosch erschien in der April-Ausgabe von Versorgungsmanagement konkret, der Fachzeitschrift der Deutschen Gesellschaft für bürgerorientiertes Versorgungsmanagement e.V. (DGbV), in der die Dr. Grosch Consulting GmbH langjähriges Mitglied ist.

Die Zeitschrift berichtet in dieser Ausgabe auch über die Erfolge des Patientenbegleitprogramms, das der Grosch Patienten Service in Zusammenarbeit mit der BIG Direkt Gesund von Mai 2015 bis Januar 2017 durchgeführt hat.

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Dr. med. Arnd Grosch
Dr. med. Arnd Grosch
Geschäftsführender Gesellschafter